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Arbeitszeiterfassung: Vorgaben des EuGHs und künftige Arbeitgeberpflichten

Nach dem Urteil des EuGHs vom 15.05.2019 ist klar: Die Arbeitszeiterfassung wird in vielen Betrieben wohl umfassender werden müssen. Derzeit ist es nach dem Arbeitszeitgesetz nicht der Fall: Der Arbeitgeber ist verpflichtet lediglich die Überstunden zu erfassen, die über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehen. Dabei kann er diese Pflichte auf den Arbeitnehmer abwälzen.

Die Resonanz der EuGH-Entscheidung vom 15.05.2019 ist daher groß und stellt die Arbeitgeber vor viele offene Fragen: Muss der Arbeitgeber Arbeitszeiterfassungssystem lediglich einrichten und zur Verfügung stellen oder ist er verpflichtet, die geleistete Arbeitszeit tatsächlich zu erfassen? Was genau muss erfasst werden – nur die Zahl der Arbeitsstunden oder auch die Lage der Arbeitszeit und die Pausenzeiten? Welche (technischen) Anforderungen sind an ein Zeiterfassungssystem zu stellen – reicht eine Aufstellung mit Stift und Papier? Wird eine Delegation der Pflichten auf den Arbeitnehmer auch weiterhin möglich sein?

Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Erfassungssystems

Die Verpflichtung des Arbeitsgebers zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Erfassungssystems ist eine Kernaussage der europarechtlichen Entscheidung. Damit soll die tägliche geleistete Arbeitszeit lückenlos erfasst werden können.

Das vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte System muss objektiv sein, d.h. es muss sichergestellt werden, dass der Arbeitgeber nicht auf die tatsächliche Erfassung zum Nachteil des Arbeitnehmers einwirken kann. Der Arbeitnehmer muss die Dokumentation seiner Arbeitszeiten einsehen und kontrollieren können, ohne dass subjektive Eindrücke des Arbeitgebers oder andere fremde Einflüsse die Zeiterfassung beeinflussen können.

Das Erfassungssystem muss verlässlich sein. Darunter ist die im geringsten Maße fehleranfällige, inhaltlich zutreffende und damit sichere Messung der Arbeitszeit zu verstehen. Der Arbeitgeber muss bei einem 3-Schicht-Betrieb also zum Beispiel sicherstellen, dass die Erfassung zu jeder Uhrzeit möglich ist. Außerdem wird aus der Voraussetzung der Verlässlichkeit hergeleitet, dass die Aufzeichnung der Arbeitszeit zeitnah erfolgen muss, um Erinnerungslücken und Abweichungen in der Dokumentation zu vermeiden.

Das System muss darüber hinaus zugänglich sein. Es muss also insbesondere für die Benutzung zur Verfügung stehen – jedoch nicht uneingeschränkt und nicht jederzeit für beide Seiten. Es reicht aus, wenn die zeitnahe Überprüfung bestimmter Arbeitszeiten nicht durch hohe Zugangsschranken erschwert oder verhindert wird. Für die arbeitgeberseitige Zugänglichkeit soll es sogar ausreichen, dass der Arbeitgeber die Erfassung erst auf Anforderung, jedoch zeitnah und ohne zusätzliche bürokratische Hindernisse erhält.

Verpflichtung zur tatsächlichen Erfassung der Arbeitszeit?

Die wesentliche Aussage der EuGH-Entscheidung lautet dahingehend, dass ein System einzurichten ist, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden „kann“. Aus den Entscheidungsgründen ist jedoch nicht klar ersichtlich, ob eine konkrete Erfassungspflicht besteht oder die Aufzeichnung der Arbeitszeit mit dem eingerichteten System lediglich optional ist. Um das von der europäischen Arbeitszeit-Richtlinie geforderte Schutzniveau für Arbeitnehmer zu erreichen, wird in Literatur vielfach eine konkrete Erfassungspflicht – nicht lediglich die Einrichtung eines zur Erfassung geeigneten Systems – gefordert. Anderenfalls könnte der Arbeitnehmer von einer freiwilligen Nutzung des Erfassungssystems abgehalten werden, um vermeintlichen Nachteilen für das Arbeitsverhältnis vorzubeugen. Eine Aufzeichnung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten mittels eines dazu eingerichteten Erfassungssystems ist daher sinnvoll und zu empfehlen.

Delegation auf den Arbeitnehmer möglich?

Die Pflicht zur Einrichtung des Erfassungssystems obliegt dem Arbeitgeber, während die Aufzeichnung der Arbeitszeit auch auf den Arbeitnehmer übertragen werden kann. Die Aufzeichnung der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber wird in der EuGH-Entscheidung nicht explizit gefordert, was auch der bisherigen Praxis im deutschen Arbeitsrecht entspricht. Oft ist es dem Arbeitgeber auch gar nicht möglich, die Arbeitszeit exakt und zeitnah aufzuzeichnen, z.B. bei den Auslandseinsätzen oder Auswärtsterminen von Arbeitnehmern.

Die Zeiterfassung durch den Arbeitnehmer ist jedoch dann nicht „verlässlich“ und damit unzureichend, wenn Zweifel daran besteht, dass die Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte durch dessen eigenständige Aufzeichnung sichergestellt ist.

Professionelles Zeiterfassungssystem, Excel-Tabelle oder händische Aufzeichnung?

Der EuGH stellt keine Voraussetzungen an die konkrete Form der Zeiterfassung. Den Arbeitgeber trifft lediglich die Verantwortung dafür, organisatorische Maßnahmen zu schaffen und seine Arbeitnehmer – sollte diesen die Erfassungspflicht übertragen werden – anzuweisen, die Aufzeichnung der Arbeitszeit durchzuführen. Zweck der Erfassung ist es jedoch, die Aufsichtsbehörden in die Lage zu versetzen, die Einhaltung des ArbZG kontrollieren zu können. Es empfiehlt sich daher eine digitale Erfassung, die sich nicht nachträglich manipulieren lässt.

Nur die Dauer der Arbeitszeit oder auch Lage der Arbeitszeit und Pausenzeiten?

Soweit der Arbeitgeber die Dokumentation der Arbeitszeit übernimmt, wird eine detaillierte Arbeitszeitbeschreibung erforderlich werden, die sich auf die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden, deren zeitliche Lage sowie auf die Dauer und die Lage der Pausenzeiten erstreckt. Wird dem Arbeitnehmer die Erfassung übertragen, soll dieser hingegen entscheiden können, wie detailliert seine Dokumentation ausfällt. Da jedoch auch die Nicht-Gewährung der gesetzlich vorgeschriebenen Pausen nach dem ArbZG mit Geldbußen sanktioniert wird, ist es sinnvoll, die Lage und die Dauer der Pausen aufzeichnen zu lassen.

Wie geht es weiter?

Die dem Urteil des EuGHs zugrundeliegende Arbeitszeit-Richtlinie findet zwar keine unmittelbare Anwendung auf die Arbeitsverhältnisse in Deutschland, nach der EuGH-Entscheidung besteht jedoch für den deutschen Gesetzgeber ein akuter Handlungsbedarf, da die Vorgaben des EuGH in deutsches Recht umzusetzen sind. Es ist daher abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die oben aufgeworfenen Fragen beantworten wird. Neben einer neuen gesetzlichen Regelung in Form der Neufassung des ArbZG, welches schon lange den Anforderungen des modernen Arbeitslebens nicht ausreichend Rechnung trägt, wäre auch eine konkretisierende und europarechtskonforme Auslegung des ArbZG durch die Arbeitsgerichte möglich. Eine gesetzliche Regelung zur vollständigen Erfassung der Arbeitszeit würde natürlich die größere Rechtssicherheit schaffen. Derzeit existiert aber noch kein entsprechendes Gesetzesvorhaben der Bundesregierung.

Wir werden Sie über die aktuellen Entwicklungen im Arbeitszeitrecht auf dem Laufenden halten.

Jasmin Braunisch                                                            Natalia Dinnebier
-Rechtsanwältin-                                                            -Rechtsanwältin-

Online-Vortrag: 18.11.2025 – Aktuelles zur Produktsicherheit und Produkthaftung aus Unternehmersicht

Online-Vortrag: RA Görtz / IHK Karlsruhe am 18.11.2025 von 15.00-17.00 Uhr

Das europäische Produktsicherheits- und Produkthaftungsrecht ist spätestens seit Ende 2024 mit Geltung der neuen Produktsicherheitsverordnung 2023/988/EU sowie Erlass der neuen Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853/EU aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Die aktuellen Entwicklungen der Regulatorik fordern von allen Wirtschaftsakteuren vielfältige Anstrengungen, um sichere Produkte in der Europäischen Union in Verkehr zu bringen und damit verbundene Haftungsrisiken nach Zivilrecht, öffentlichem Marktaufsichtsrecht und Strafrecht für Ihr Unternehmen und die handelnden Personen, möglichst gering zu halten.

Produktsicherheit beginnt idealerweise zu Beginn der Entwicklungsphase in einem ständigen Zusammenspiel der jeweiligen Fachbereiche Ihres Unternehmens. Um hierzu zum einen die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, aber auch bestmögliche Ergebnisse erzielen zu können und in nicht zu 100 % vermeidbaren Produktsicherheitsfällen bestmöglich aufgestellt zu sein, ist das bestehende Compliance System zu überprüfen und zu einem vollwirksamen „Product Compliance Management Systems“ weiterzuentwickeln.

Der Fachvortrag beleuchtet die wichtigsten rechtlichen Aspekte des Produktsicherheitsrecht wie auch den neuen Produkthaftungsregelungen aus Unternehmersicht mit Praxisbespielen und praktischen Handlungsempfehlungen.

Anmeldungen bitte gerne unter:
https://veranstaltungen.karlsruhe.ihk.de/b?p=produktsicherherheitprodukthaftung

IHK Heilbronn-Franken & Görtz Legal: Webinar am 05.02.2025 – Erste Erfahrungen mit der neuen EU-Produktsicherheitsverordnung (GPSR)

Veranstaltungsdetails:

Die Umsetzung der GPSR (General Product Safety Regulation – VO (EU) 2023/988) erweist sich als nicht ganz einfach, zumal es zu wenig für die Unternehmenspraxis nutzbare Literatur dazu gab.

Nach dem Inkrafttreten der GPSR am 13.12.2024 soll das dreistündige Webinar (einschließlich 20-minütiger Pause) einen praxisorientierten Überblick über die wichtigsten Fragen geben.

Der Referent Dominik Görtz von der Görtz Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Stuttgart ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht. Er ist seit vielen Jahren im Produktsicherheitsrecht tätig und berät mittelständische Unternehmen bei der Umsetzung der GPSR.

Das kostenfreie Webinar richtet sich ausschließlich an IHK-Mitgliedsunternehmen und findet am 05.02.2025 in der Zeit von 13.30 Uhr bis 16.30 Uhr statt.

Die Zugangsdaten zum Webinarraum erhalten Sie spätestens drei Tage vor dem Termin in einer separaten E-Mail.

Bitte beachten Sie, dass bei einem Webinar keine Teilnahmebescheinigungen ausgegeben werden.

Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung!

https://www.ihk.de/heilbronn-franken/system/veranstaltungssuche/vstdetail-antrago/5588746/19461?terminId=19461

Weihnachtsaktion Görtz Legal 2024 – Spende statt Geschenke