Görtz – Legal
DE
EN
Sprache:

10. Juli 2018 - erstellt von Dominik Görtz
Produktsicherheit – Produkthaftung

Product Compliance
– Anforderungen an sichere Produkte –

Es vergeht nahezu keine Woche in der öffentlichen Berichterstattung, in welcher nicht über Produkte zu lesen ist, von denen Sicherheitsrisiken ausgehen oder die produktrechtliche Anforderungen nicht erfüllen. Häufig werden spezielle Sicherheitshinweise gegeben, manchmal aber auch Produktionschargen zurückgerufen oder nachgebessert.

Der Automotive-Bereich steht aufgrund der Gefahrgeneigtheit und Komplexität seit Jahren besonders im Fokus. Hersteller müssen ihre Fahrzeuge immer wieder zu technischen Nachbesserungen und Nachrüstungen unterschiedlicher Art und in verschiedenem Ausmaß in die Werkstätten rufen. Manche dieser Maßnahmen erfolgen “still” im Rahmen der allgemeinen Service-Intervalle, manche – in akuten Konstellationen – öffentlich durch direktes Anschreiben der Kunden oder sogar über öffentliche Kommunikationskanäle wie Websites, Social Media oder die Presse.

Letztlich betrifft das Thema Product Compliance alle Produktkategorien. Besonders strenge Anforderungen sowohl zivil- wie auch öffentlich-rechtlich gelten dann, wenn es sich bei den Produkten um sogenannte “Verbraucherprodukte” handelt

  1. Herausforderung für die Compliance Organisation

Das Produktsicherheitsrecht zeigt sich seit einigen Jahren als ein zunehmend dynamisches Rechtsgebiet. Immer neue Vorgaben – vor allem auf europäischer Ebene – stellen die Unternehmen vor die schwierige Aufgabe, stets den Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Bereich der rechtlichen Produktkonformitätsanforderungen zu behalten.

Daraus ergeben sich spezifische Herausforderungen für die Compliance-Organisation in den Unternehmen, die ein Handeln im Einklang mit den jeweils einschlägig gesetzlichen Anforderungen sicherstellen sollen. Für jedes Unternehmen, das nicht nur und ausschließlich Dienstleistungen erbringt, sondern zumindest auch teilweise Waren und Produkte vertreibt, sollten Themen der Product Compliance daher fester Gegenstand der internen Compliance-Organisation sein. Diese zielt dabei darauf ab, das rechtskonforme Bereitstellen von Produkten auf dem Wirtschaftsmarkt sicherzustellen

Eine der besonderen Herausforderungen in der Unternehmensorganisation ist es dabei, die Pflichten- und Verantwortungsbereiche der involvierten Fachbereiche hinreichend miteinander zu verzahnen. Dies betrifft regelmäßig die technischen Bereiche, die u. a. für die Produktentwicklung verantwortlich sind, das Qualitätsmanagement sowie die Abteilungen Legal und Compliance.

Einzubinden sind jedenfalls in Krisensituationen, in denen von einem Produkt hohe oder gar ernste Risiken ausgehen, zudem die maßgeblichen Entscheidungsträger im Unternehmen bis hin zur Geschäftsführung oder dem Vorstand. In solchen Konstellationen besteht neben dem Risiko der zivilrechtlichen Haftung und der öffentlich-rechtlichen Sanktionierung des Unternehmens häufig auch das Risiko einer persönlichen strafrechtlichen Verantwortung der maßgeblichen Entscheidungsträger im Unternehmen und der konkret handelnden Personen.

Allein dies rechtfertigt es bereits, das Thema der Product Compliance mit der notwendigen Sorgfältigkeit und Gründlichkeit im Unternehmen abzudecken.

Hinzu kommen noch weitere Faktoren, wie die Verschärfungen, welche die Novellierung des ProdSG mit sich gebracht hat, die Tatsache, dass die Marktüberwachungsbehörden in den letzten Jahren massiv Stellen aufgebaut haben, um die Kontrolldichte zu erhöhen und so ihren gesteigerten gesetzlichen Anforderungen nachzukommen und das gestiegene Bewusstsein der Öffentlichkeit für Product-Compliance-Themen, das wohl vor allem durch eine regelmäßige Berichterstattung hierzu in den Medien hervorgerufen wurde.

Es ist Unternehmen daher zu empfehlen, bereits präventiv vorzusorgen und Verstöße gegen die Product Compliance möglichst vollständig zu vermeiden.

  1. Rechtliche Kategorisierung der Produktanforderungen

Nach deutschem Recht gilt für Produkte im europäisch-harmonisierten Bereich § 3 Abs. 1 Produktsicherheitsgesetz (ProdSG). Diese Norm regelt, dass ein Produkt, soweit es einer Rechtsverordnung nach § 8 Abs. 1 ProdSG unterliegt, nur dann in Verkehr gebracht werden darf, wenn es die darin vorgesehene Anforderungen erfüllt und die Sicherheit und Gesundheit von Personen oder sonstige in den Rechtsverordnungen nach § 8 abs. 1 ProdSG aufgeführte Rechtsgüter bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer vernünftiger Verwendung nicht gefährdet.

Die Strukturierung eines Compliance-Systems in einem Produktions- oder Handelsunternehmen setzt voraus, die normativen Anforderungen und Strukturen für die betreffenden Produkte und Branchen im Detail zu kennen und zu analysieren. Nur dann können die organisatorischen Maßnahmen hinreichend effektiv und effizient funktionieren.

Die normativen Anforderungen der Product Compliance sind in den Details selbstverständlich sehr stark von der konkreten Produktkategorie, der spezifischen Produktkonzeption, den Ländern, in denen das Produkt verwendet wird, sowie dem konkreten Kreis der Verwender abhängig. Dabei sind nicht nur die Verwender zu berücksichtigen, die im Vertriebsweg adressiert werden sollen, sondern auch diejenigen, die in vorhersehbarer Weise mit dem Produkt in Berührung kommen.

Losgelöst von der jeweiligen Produktkategorie und -konzeption gibt es gewisse rechtliche Grundstrukturen, die generell gelten. Dazu gehört insbesondere der Umstand, dass Produkt-Compliance-Fälle häufig an der Schnittstelle zwischen dem öffentlichen Recht, dem Zivilrecht und dem Strafrecht spielen:

  • Für das öffentliche Produktsicherheitsrecht ist der Maßstab im Regelfall die Einhaltung des geschriebenen Rechts. Die behördlichen Eingriffsbefugnisse dienen der Gefahrabwendung und Prävention, z. B. durch öffentliche Warnungen und Rückrufe.
  • Maßstab für die zivilrechtliche Produkthaftung und Produzentenhaftung ist grundsätzlich der Stand von Wissenschaft und Technik. Primär geht es um Schadenskompensation sowie um Produkt- und Marktbeobachtung.
  • Die strafrechtliche Produktverantwortung knüpft an menschliches Fehlverhalten in den oben genannten Bereichen an, die sich insbesondere in den allgemeinen Körperverletzungs-, Tötungs- und Sachbeschädigungsdelikten manifestiert.

Im Wesentlichen können beim Product Compliance drei Szenarien unterschieden werden, in die sich Krisenfälle typischerweise einordnen lassen und die es durch geeignete präventive Maßnahmen möglichst zu verhindern gilt:

  • Der noch am wenigsten kritische Fall ist der reine Mangel-Fall: Ein solcher Fall liegt vor, wenn die betroffenen Produkte die mit dem jeweiligen Kunden vertraglich vereinbarte Soll-Beschaffenheit nicht erfüllen, ohne dabei auch gegen gesetzliche Normvorgaben zu verstoßen. In diesen Fällen liegt der Schwerpunkt des Falls im Bereich des Zivilrechts und die Hauptrisiken für das Unternehmen kommen aus dem Bereich des vertraglichen Gewährleistungsrechts.
  • Kritischer sind die Fälle, in denen das Produkt zwingend einzuhaltende Normvorgaben nicht erfüllt. In der Regel wird dies gleichzeitig einen Mangel darstellen, da bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Normvorgaben dem Produkt in der Regel die Verkehrsfähigkeit fehlen wird und das Produkt daher bereits deshalb als mangelhaft anzusehen sein dürfte. In diesen Fällen treten neben den zivilrechtlichen Schadensausgleich über die Bestimmungen des Gewährleistungsrechts und ggf. des § 823 Abs. 2 BGB öffentlich-rechtliche Vorschriften, die den zuständigen Marktüberwachungsbehörden die Möglichkeit geben, verschiedene Maßnahmen gegen das Unternehmen zu ergreifen, um einen rechtskonformen Zustand herzustellen. Dies kann von der Anordnung eines Rückrufs bis hin zu Geldbußen für das Unternehmen reichen.
  • Der kritischste Fall ist schließlich die Konstellation, in der von dem Produkt ein potentielles Sicherheitsrisiko ausgeht. Denn in dieser Konstellation besteht das größte strafrechtliche Risiko für die handelnden Personen und die Geschäftsführung. Während es in Deutschland vergleichsweise selten vorkommt, dass strafrechtliche Sanktionen an das versehentliche Inverkehrbringen eines fehlerhaften (also: unsicheren) Produkts anknüpfen, kommt es in Fällen, in denen ein Unternehmen nicht oder nicht rechtzeitig gefahrabwendende Maßnahmen ergreift, obwohl es eine Personengefährdung erkannt hat oder erkennen musste, regelmäßig auch zu strafrechtlichen Sanktionen gegenüber den handelnden Personen. In diesen Fällen ist daher ein zügiges Handeln geboten.

In diesen Fällen sind häufig viele Dinge gleichzeitig zu erledigen. Dies beginnt mit der Entscheidung über ad-hoc-Maßnahmen und die Einbindung der Versicherung, die Sicherung von Regressansprüchen und die Sachverhaltsaufklärung – ggf. unter Einbindung von Dritten und geht hin bis zu der Erstellung einer Risikobewertung und der Entscheidung über die Lieferantenauswahl, Wareneingangskontrollen und sonstige produktions- bzw. vertriebsbegleitende Untersuchungen. Selbst große Unternehmen sind angesichts dessen ohne hinreichende Vorbereitung und Vorhaltung eines Rückrufmanagement-Systems in solchen Konstellationen schnell überfordert.

III.        Anforderungen an die Product-Compliance-Organisation

Eine ausdrückliche gesetzliche Anforderung an alle Arten von Herstellern, ein Product-Compliance-System einzurichten, existiert in Deutschland nicht. Allerdings gibt es für bestimmte Branchen und Produkttypen gesetzliche Vorgaben, die von Unternehmen zumindest für bestimmte Bereiche der Product Compliance die Einhaltung von Mindeststandards verlangen.

Für Verbraucherprodukte heißt es hierzu in § 6 Abs. 2 ProdSG beispielsweise:

“Der Hersteller, sein Bevollmächtigter und der Einführer haben jeweils im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit Vorkehrungen für geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Risiken zu treffen, die mit dem Verbraucherprodukt verbunden sein können, das sie auf dem Markt bereitgestellt haben; die Maßnahmen müssen den Produkteigenschaften angemessen sein und reichen bis zur Rücknahme, zu angemessenen und wirksamen Warnungen und zum Rückruf.”

Da sich die Vorkehrungen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 6 Abs. 2 ProdSG auf Produkte beziehen, die der Unternehmer bereits auf dem Markt bereitgestellt hat, erstreckt sich diese Bestimmung erst auf den Zeitraum nach dem Inverkehrbringen des Produkts. Die Vorgabe bezieht sich damit (auch) auf die Einführung eines Rückrufmanagementsystems.

Aber bereits im Vorfeld macht es Sinn, Compliance-Strukturen zu etablieren, die dafür sorgen, dass fehlerhafte Produkte möglichst erst gar nicht auf den Markt gebracht werden. Die aus anderen Compliance-Bereichen bekannten Schlagworte “Prevent”, “Detect” und “Respond” lassen sich auch auf die Product Compliance übertragen. Aus rechtlicher Sicht ist der Ansatz hier häufig allerdings etwas vielschichtiger als in anderen Compliance-Bereichen, da neben den Abteilungen “Legal” und “Compliance” häufig auch der Bereich Qualitätssicherung (“QS”) über eigene rechtliche Expertise verfügt und gerade im Krisenfall (also in den Bereichen “Detect” und “Respond”) eine zentrale Rolle einnimmt.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein konkretes Compliance-System immer auf das spezifische Unternehmen, sein Produktportfolio und die relevanten Nutzer und Märkte zugeschnitten sein muss. Gerade die anwendbaren technischen Vorschriften und Normungen sind dabei häufig extrem vielschichtig und können sich bei auch nur kleineren Anpassungen von Produkten grundlegend ändern, so dass gerade im Bereich “Prevent” auch die Unternehmensbereiche wie z. B. Forschung und Entwicklung (F&E) eine ganz wesentliche Funktion innehaben.

Für detaillierte Informationen und Ihre Anliegen zu Product Compliance wie auch Produkthaftung und Produktsicherheit stehen wir Ihnen gerne jederzeit fachkundig zur Verfügung.

Dominik Görtz
Rechtsanwalt

d.goertz@goertz-kanzlei.de

 

 

Kategorie(n): Tagged With: